Dienstag, 12. Januar 2010

Gast sein: Tischsitten und Essen



Es rauschte gewaltig im philippinischen Blätterwald und die Kommentierungen in den philippinischen Internetforen wollten nicht abreißen. Demonstranten zogen mit Schildern wie „Respect cultural diversity“ vor der kanadischen Botschaft in Manila auf und der Sprecher des philippinischen Außenministeriums sprach von einem „diskriminierenden Akt“ und einem „Affront gegen die philippinische Kultur“, manch andere von Rassismus. Was war geschehen?

Ein kleiner siebenjähriger Junge, der auf eine kanadische Schule ging, sagte zu seiner Mutter: „Mommy, I don’t want to eat anymore“. Auf weiteres Befragen stellte sich heraus, dass sich der kleine Luc, der stets mit Löffel und Gabel sein Essen zu sich nahm, von einem Schulaufseher schon zehnmal aufgefordert wurde, sich bei seinen Mahlzeiten abseits von seinen Schulkameraden zu setzen. „Er äße wie ein Schwein“, kommentierte später der Schulleiter (1).

Nehmen wir den Vorfall in Kanada zum Anlass, uns mit philippinischen Tischsitten und einigen Speisen näher zu beschäftigen. Sie hat sich noch am ursprünglichsten auf dem Land, in der Provinz erhalten. In der „Upperclass“ und der gepflegten Gastronomie der Großstädte hat sich freilich der ursprüngliche Stil des Essens im Zeichen der Globalisierung schon verflüchtigt und sich weitgehend westlichen Standards angepasst.

Essen

Wir wollen nicht bestreiten, dass es auch in westlichen Ländern eine gehobene gesellige Esskultur insbesondere an Festtagen gibt. Dennoch findet sich mehr und mehr Fastfood auf den Tellern, das man hastig und oft allein. Essen ist vielfach nur noch eine kurze notwendige Unterbrechung zwischen zwei Arbeitsstrecken.
Auf den Philippinen hat das Essen noch stärkere soziale Funktionen, auch wenn die allgemeine Armut oft nur einen einfachen Speiseplan zulässt. Häufig erlaubt der Geldbeutel eben nur Fisch und Reis, angereichert durch etwas Gemüse. Essen gehört dennoch mit zu einem erfüllten Leben. Man isst, um zu leben - aber man lebt auch, um zu essen. Beim Essen im Kreis der Familie, Freunden und Bekannten stellt sich in der Regel die gesuchte soziale Harmonie ein.

Die Bedeutung des Essens auf den Philippinen wird auch an einem anderen Tatbestand deutlich. Man isst nicht unbedingt mehr, aber wesentlich häufiger. Zum klassischen Frühstück, Mittagessen und Abendessen kommen traditionell die Snacks der Morning-Merianda (später Vormittag) und die der Afternoon-Merianda (später Nachmittag). Die Snacks können bestehen aus Fischbällchen, Balut-Enteneier, jungem Kokosnussfleisch (buko), Plätzchen oder Skyflake-Keksen.

Die Essenszeiten können sich nicht nur im familiären Kreis in die Länge ziehen. Bei etlichen ausländischen Unternehmen auf den Philippinen waren die langen Kantinenessenszeiten der philippinischen Mitarbeiter schon Konfliktstoff. Ausländer, die mit einer Filipina verheiratet sind, machen häufiger die Erfahrung, dass die Mahlzeit ihrer Frau länger dauert. Es dauert eben länger, bis die letzte Fleischfaser von der Fischgräte oder dem Knochenfleisch gelöst ist.

Noch trifft man auf den Philippinen weniger übergewichtige Personen an. Dennoch ist die Zahl der Diabetes- und Cholesterinerkrankungen stark im Anstieg begriffen. Das kann an einer verbesserten Messmethodik liegen. Auch der häufig anzutreffende Bewegungsmangel liefert eine Ursache. Zu nennen ist aber auch die starke Verwendung des cholesterinhaltigen Kokosnussöls bei der Zubereitung von Speisen sowie ein ausgeprägtes Faible für Süßigkeiten. Der Warenbestand mancher Sari-Sari Shops besteht zu mehr als einem Drittel aus Süßigkeiten.

Gast sein

Die Gastfreundlichkeit der Filipinos ist sprichwörtlich. Es kann vorkommen, dass man als Fremder plötzliche den Zuruf hört „Come and eat“ oder „Sir! Kain Tayon“ (Essen wir zusammen). Als freundlicher Zeitgenosse werden sie zunächst antworten, dass sie keine Umstände machen wollen. Versuchen sie herauszubekommen, wie ernst die Einladung gemeint ist. Ein schroffes Nein wird oft als beleidigend empfunden – flüchten sie sich lieber dankend in die Ausrede, sie hätten leider schon gegessen und seien noch satt.

Wenn sie sicher sind, daß der freundliche Gastgeber nicht sein letztes Huhn schlachtet, sollten sie die Einladung wahrnehmen. Ein paar Förmlichkeiten gilt es zu beachten. Treffen sie nicht zu vorzeitig ein. Eine leichte Verspätung wird eher respektiert. Sie sollten abwarten, welcher Platz am Tisch ihnen zugewiesen wird. Am Kopfende sitzt in der Regel der Gastgeber. Beginnen und beendigen sie nicht selbstständig das Essen.

Was habe ich zu erwarten? Vielleicht haben sie sich vor ihrer ersten Reise auf die Philippinen, in der Literatur etwas kundig gemacht und sind auf Ungeheuerliches gestoßen. Sie haben gelesen, dass die philippinische Küche auch vereinzelt folgende Mahlzeiten bereithält: Ziegen- und Hundefleisch - „Adidas“ (Hühnerfüße) - Kurbata“ (Hühnerhälse) - „Betamax“ (Tierblutriegel) - Iud“ (Hühnergedärme).Sicherlich diese Gerichte gibt es auf den Philippinen. Nach Hundefleischgerichten wird man schon sehr gezielt suchen müssen. Sie können jedoch ziemlich sicher sein, dass man ihnen als Gast dererlei Randständiges nur auf eigenen Wunsch hin vielleicht offerieren wird. Möglicherweise erwartet sie auch eine durchaus exquisite Küche in Gestalt von köstlichen Fleischgerichten, delikaten Meeresfrüchten, exotischen Früchten, erfrischenden Fruchtsäften oder süßem Naschwerk.

Abfolge

Wird ihnen als Gast ein besonderer Respekt gezollt, dann kann es vorkommen, dass man ihnen beim Essen den Vorrang gibt und sie zunächst alleine am Tisch sitzen. Die übrigen Familienmitglieder finden sich erst später ein, denn der Gast soll sich ja das Beste in aller Ruhe aussuchen können. Früher oder später werden sie vermutlich darauf drängen, diesen Usus nicht mehr zu praktizieren.

Wundern sie sich nicht, wenn vor der Mahlzeit das Kreuz geschlagen wird oder ein (stummes) Gebet gesprochen wird. Für Westler ist es manchmal ein eigenartiges Gefühl, wenn er wieder in ein ihm kaum noch bekanntes religiöses Bezugsfeld einbezogen wird.

Bezüglich der Speiseabfolge gibt es kein so strenges Konzept. Der Filipino liebt es, auf alles zugleich zugreifen zu können – die Suppe, den Appetizer, das Hauptgericht und das Dessert. Alles ist integraler Bestandteil der Mahlzeit. Bei üppigeren Gängen wird man das hausgemachte Halo-Halo-Eis später serviert. Das klassische Halo-Halo-Eis erhält die vielfach anzutreffende Violettfärbung durch die Ubi-Pflanze. Käse, Schokolade oder die Jack-Fruit können weitere Aromastoffe liefern.

Trinken gehört zum Essen. Als Westler sollten sie industriell abgefülltem und kontrolliertem Mineralwasser den Vorzug geben. Es enthält keine oder nur wenig Kohlensäure. Nicht jeder sensible Magen verträgt das lokale Brunnen- oder Leitungswasser. Sofern sie nicht in einem Abstinenzlerhaushalt gelandet sind, wird ihnen auch Alkohol diverser Art angeboten. Stellen sie sich darauf ein, dass nicht nur die Deutschen schwere Trinker sein können.

In Haushalten, die auf die Einhaltung von Förmlichkeiten Wert legen, sollten sie sich am Tisch möglichst nicht die Nase putzen, schmatzen oder schlürfen. Das gilt als unfein. Auf ein „Bäuerchen“ reagiert man liberaler, gilt es doch als Zeichen, dass es ihnen geschmeckt hat. Stören sie sich nicht, wenn ein Essensteilnehmer mit angezogenem Knie den Fuß auf seinem Stuhl platziert hat.

Traditionell findet nach dem Essen ein geselliger Plausch statt. Gerne spricht man über die Familie und die Kinder. Politische Themen sollten zumindest zunächst ausgeklammert werden. Sind sie mit dem Essen fertig, dann legen sie das Besteck auf den Teller. Über die weitere Resteverwertung sollten sie sich keine Gedanken machen. Es können noch weitere Nahrungsverwerter folgen – Hauspersonal, Bekannte und Verwandte und last, not least die immer hungrigen Hausschweine und Hofhunde.

Ohne Reis geht es nicht

Eine Mahlzeit ohne die obligatorische Schüssel Reis ist auf den Philippinen kaum vorstellbar. Für den Filipino ist eine Mahlzeit ohne Reis keine Mahlzeit. Auslandsfilipinos äußern nach einem Kartoffelgericht häufig, sie seien noch nicht satt. Und die Kalorienstatistik gibt ihnen recht: Hundert Gramm Reis haben fast fünfmal soviel Kalorien wie die entsprechende Menge an Kartoffeln.
Reis gibt ihn in Dutzenden von Varianten - auch schon zum Frühstück. Der durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Verbrauch auf den Philippinen liegt bei etwa 110 kg, in Europa bei weniger als 10 kg pro Kopf (3). Zuweilen wird der Reis in eigenartigen Kombinationen gegessen. Wir denken hier nicht nur an Knoblauch, sondern an Kombinationen mit Sojasoße, Essig, Ketchup, Kondensmilch, Kakao oder Kaffee.


Gemüse und Salate und Dipping-Soßen („Sawsawan“)


Eine Vielzahl von Gemüsesorten können sie erwarten. Wir belassen es hier bei einer Auflistung, bezüglich der Zubereitung sei auf Kochbücher verwiesen (2):
„Alugbati“, eine spinatartige, krautige Kletterpflanze mit purpurnen Stängel und eiförmigen grünen Blättern. Sie wird beim Kochen leicht schleimig // „Ampalaya“, die Bittermelone // „Puso“, gekochte Bananenblüte // „Kalabasa“, gekochter, meist süßlich schmeckender Kürbis // „Camote“, längliche purpur- bis gelbliche Süßkartoffel, die als Windengewächs nicht mit der uns bekannten Kartoffel verwandt ist und viel Zucker und Stärke enthält // Aubergine oder Eggplant // Die vielseitig verwendbare „Gabi“ oder Toropflanze, bei der sowohl die Wurzel; Stängel, Blüten und die großformatigen Blätter verwandt werden können // Die Vitamin C reiche „Malunggay“- Pflanze, deren Blätter sich auch als Rohkost eignen //Der Sumpfkohl oder Wasserspinat „Kangkong“, den man roh, blanchiert oder gekocht mit Soja-Soße und Essig konsumieren kann // Die stärkehaltigen Wurzeln des Maniok-Strauches, die wegen ihres Blausäuregehaltes aber gekocht werden müssen. Die Blätter eignen sich als Salat. // Mungo-Bohnen // Pechay“ oder China-Kohl // „Sitaw“ oder String-Beans (längliche Bohnen) // Die hochwachsende, nährstoffreiche „Ubi“ oder „Yam“ Pflanze, mit dem purpurrotem Stamm und einem Wurzelstock, den man zumeist mit Kokosmilch und Rohrzucker kocht. // Eingelegte Papaya

Ohne Soßen oder Marinaden ist ein philippinisches Gericht unvollständig. Sicherlich der Koch würzt auch, aber in aller Regel entscheidet der Speisende selbst, welches Würzmittel zu seinem Gericht am besten passt. Man schätzt die Geschmackskombination von süß, sauer, bitter oder salzig. Dabei kommt eine ganze Palette von Würzmitteln und Marinaden in unterschiedlichen Mischungen in Betracht. Hier einige Beispiele:
Essig in Kombination mit Sojasoße („toyo“) und Kalamansi-Zitronensaft // Salzige Fischsoße („Patis“) oder ihre Schwester die Fischpaste „Bagoong“, deren Geruch manchen Westler das Fürchten lehrt // Chili und zerstoßene Ingwerwurzel („luya“)
Dem Philippinen-Besucher wird sicherlich auch auffallen, dass die Filipinos einen starken Hang zum Süßen haben. Es gibt unter anderem gesüßtes Brot, gesüßte Spaghetti, gesüßte Würste und gesüßten Banana-Ketchup.

Fingeressen (Kamayan Style)


In den ländlichen Provinzen wird teilweise noch – wenn auch immer seltener – mit den Fingern gegessen. Auf Besteck wird dabei verzichtet.


Um eventuellen naserümpfenden Einwänden zu begegnen sei angemerkt, dass das Essen mit Gabel und Messer sich als neue Sitte im bürgerlichen Europa erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt hat. Den Löffel kannte man hier schon seit Urzeiten, das Messer wurde nur zum mundgerechten Zerteilen von Portionen eingesetzt, die man dann mit den Fingern in den Mund beförderte. Unter dem Stichwort Essbestecke entnehmen wir Wikipedia: „Luther klagte 1518: „Gott behüte mich vor Gäbelchen.“ Erasmus von Rotterdam präzisierte wenig später: „Was gereicht wird, hat man mit drei Fingern oder mit Brotstücken zu nehmen.“ In italienischen Tischregeln vom Anfang des 17. Jahrhunderts heißt es: „Unsere Mitglieder mögen von ihrem Tisch Gabeln und Löffel verbannen. Hat uns die Natur nicht fünf Finger an jeder Hand geschenkt? Warum wollen wir sie mit jenen dummen Instrumenten beleidigen, die eher dazu geschaffen sind, Heu aufzuladen als das Essen?“ Noch Ludwig XIV. aß mit den Fingern“ (3).

Bekanntlich werden auch in der westlichen Kultur Brot, Krustentiere oder Hähnchenschenkel in der Regel mit der Hand gegessen. Die Begründungen für das Essen mit den Fingern sind unterschiedlich. Oft hört man, es würde einfach besser schmecken. Oder: „Ich weiß, dass ich meine Hände gewaschen habe, kann ich das auch von jedem Besteck sagen, das in der Regel nur unter kaltem Wasser gewaschen wurde“. Dem westlichen Gast wird heutzutage in der Regel auf Nachfrage sicherlich auch Besteck gestellt. Warum aber nicht das Fingeressen einmal probieren? Dabei sollte man möglichen „Schweinereien“ vorbeugen. Es gilt, die linke Hand für den weiteren Zugriff auf Speisen sauber zu halten. Im moslemischen Süden sollte man überhaupt nicht mit der linken Hand essen, sie gilt als schmutzig.

Man wird also in der Regel zunächst mit den Fingern der rechten Hand eine zunächst kleinere Menge Reis aufgreifen. Mit Zeigefinger und Daumen presst man dann den Reis am Teller zu einer kleinen Kugel und befördert diese anschließend mit Daumendruck und den Fingerspitzen in den Mund. Am Anfang kann diese Prozedur - vielleicht zur stillen Freude der teilnehmenden Filipinos - etwas unbeholfen wirken, insbesondere wenn man auch noch Gemüse, Fisch- oder Fleischstückchen in die Reiskugel einarbeitet. Fingeressen kommt mittlerweile auch in Manila wieder etwas in Mode. Es gibt spezielle Restaurants, wo nur im Kamayan-Stil gegessen wird.

Essen mit Löffel und Gabel

Mann kann sich vorstellen, dass es relativ schwierig ist, krümeligen Reis mit einem Messer zum Munde zu führen. Hier kann eine Gabel bessere Dienste leisten. Man hält sie in der linken Hand und spießt mit ihr das Gemüse auf beziehungsweise schaufelt mit ihr den Reis auf den Löffel, den man in der rechten Hand hält. Der Löffel ist das Hauptutensil und wird manchmal sogar ausschließlich verwendet. Klar ist aber auch, dass bei einem Steak oder Gemüse der Löffel nur eingeschränkte Schneidemöglichkeiten bietet.

Diät

Der fettleibige Mensch entspricht auch auf den Philippinen nicht unbedingt dem Schönheitsideal und kann einer kritischen Beurteilung unterzogen werden. So ist es nicht überraschend, dass auch auf den Philippinen Diätwellen kommen und gehen. Schließen wir deshalb mit einem Diätwitz:

Pinoy A “I’m on a seafood diet. “
Pinoy B: “What’s a seafood diet?”
Pinoy A “When I see food, I eat it!”

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(1)Filipino Table Etiquette Under Assault by Intolerant Canadians, in: http://www.philnews.com/2006/014a.html
(2)Eine Einführung in philippinische Kochrezepte bietet das Booklet: von Zeitun /Asfahani, Philippinische Küche, Hamburg, 1996
(3) Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Essbesteck

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