Samstag, 9. Januar 2010
Francisco Dagohoy - Patriot im historischen Halbdunkel
Wikipedia listet insgesamt vierzig lokal begrenzte Revolten auf, die sich im Verlauf des 16.und 17. Jahrhunderts auf den Philippinen gegen das Regime der spanischen Kolonialherren mit nur wenig Erfolg richteten (1). Anlässe zur Rebellion boten politische Unterdrückung, Willkürakte und wirtschaftliche Einschränkungen und Beschwernisse. Man rebellierte u. a. gegen die umfassenden Enteignungen von Grund und Boden, die zu hohe Steuerlast, zusätzliche Zwangsabgaben, Frondienst und Gewerbeeinschränkungen.
Auch die Insel Bohol war von Aufständen nicht ausgenommen. 1621 – 1622 kam es zum Beispiel zur Revolte von Tamblot. Dieser Aufstand ist die eher seltene Ausnahme einer religiös motivierten Erhebung. Sie wurde von dem einheimischen Priester Tamblot angeführt. Er beschwor seine Landsleute, am alten Glauben der Vorväter und Ahnen festzuhalten und sich den Missionierungsbestrebungen des katholischen Klerus zu widersetzen. Die Legende berichtet, dass er einen katholischen Priester herausforderte. Der Gott solle mächtiger sein, der bei seiner Anrufung Reis und Wein aus einem Bambusrohr rieseln lassen könne. Angeblich war zum großen Erstaunen der Zuschauer nur Tamblots Gottesbitte erfolgreich. Später verschärft sich der religiöse Konflikt mit dem spanischen Klerus, der ja auch die Insel Bohol im Regierungsauftrag verwaltete. Ein Glaubenskrieg bricht aus. Rund zweitausend Boholaner folgen Tamblots Kampfaufruf. Er kann nur kurzfristig Erfolge verzeichnen. Später rückt das Militär an (fünfzig spanische Soldaten und etwa tausend Filipinos aus anderen Landesteilen) und Tamblots bewaffneter Haufen wird zusammengeschlagen. Er selbst wird exekutiert.
Der von Francisco Dagohoy ein Jahrhundert später angeführte Aufstand dauert über achtzig Jahre (1748 – 1829) und ist der längste in der philippinischen Geschichte. Es gibt nur sehr lückenhafte, manchmal auch widersprüchliche biografische Details zur Person des Franciscos Dagohoy, dessen Geburtsname wohl Francisco Sendrijas war. Wir kommen auf die spätere Namensgebung „Dagohoy“ noch zurück
Merken wir noch an, dass uns die Person des Francisco Dagohoy nur durch seine Handlungen, nicht durch persönliche Dokumente, die zum Beispiel über seine Beweggründe Aufschluss geben könnten, bekannt ist. Die wenigen historischen Dokumente, die sich auf ihn beziehen, stammen fast gänzlich aus der Feder spanischer Chronisten, die wohl kein sonderliches Interesse hatten, ihn ausführlicher zu würdigen oder gar heldenhaft zu verklären. Erst in jüngster Zeit ist ein Internetbeitrag von dem Nachfahren Eduardo Dagohoy erschienen, der sich alte Familienberichte stützt und einige neue Aspekte liefert (2).
Über Kindheit und Jugend des Francisco Dagohoy liegen nur wenige Informationen vor. Bekannt ist nur, dass er 1724 in Cambitoon, in der Nähe von kleinen Stadt Inabangan als zweiter Sohn der Familie geboren wurde. Schon früh nimmt er eine leitende Funktion in der Stadt Inabangan ein. Seine weitere Lebensstrecke ist nun eng verknüpft mit dem Schicksal seines älteren Bruder Sagarino.
Sein Bruder Sagarino, der Kirchendiener und Wachmeister war, erhält von dem Jesuitenvater Gaspar Morales den Auftrag, einen glaubensabtrünnigen („renegade“) und flüchtigen Indio zu verhaften. Dass Sagarino diesen Auftrag erhielt, läßt Kirchennähe und Kirchentreue vermuten – umso erstaunlicher die spätere Reaktion des hochehrwürdigen Jesuitenpaters. Sagarino bricht auf. Es kommt zum Kampf, in dessen Verlauf der Abtrünnige aber Sagarino tötet. Francisco sucht und findet den Leichnam seines Bruders und bittet den Jesuitenvater um ein kirchliches Begräbnis seines getöteten Bruders. Der Pater ist über Sagrinos Misserfolg verärgert und schlägt die Bitte mit dem Hinweis ab, dass die beiden Kombattanten sich duelliert und damit eine Totsünde begangen hätten. Nach dem Kirchenrecht sei kein Anspruch auf ein kirchliches Begräbnis gegeben(3). Basta. Drei Tage läßt der wütende Francisco den verwesenden Leichnam seines Bruders vor der Kirche liegen, bis er ihn schließlich ohne kirchlichen Segen verbrennen läßt.
Mit dem Vorfall ist die Lunte für die nunmehr einsetzenden jahrzehntelangen Kämpfe und Auseinandersetzungen ist gelegt. Der persönliche Konflikt um die Beerdigung des Bruders bekommt weiterreichende politische Dimensionen. Francisco Dagohoy fordert jetzt die Inselbewohner zum Kampf gegen die Spanier auf. Er propagiert und proklamiert ein freies, von Spanien unabhängiges Bohol. Man beachte – er fordert nur ein freies Bohol. Noch gibt es kein auf den gesamten Inselarchipel sich beziehendes Nationalbewusstsein.
Seine Revolte findet viel Zuspruch und Unterstützung in der Bevölkerung. Anfänglich stützt er sich auf rund 3000 Gefolgsleute, die Zahl steigt bis 1770 auf etwa 20.000 Mitkämpfer an. Dagohoy errichtet sein mit Felsen befestigtes, höhlenreiches Hauptquartier in einer entlegenen Bergregion in der Nähe der Ortschaften Inabangan und Talibon. Von hier aus startet er Blitzüberfälle ins Tiefland. Dagohoy erweist sich als exzellenter Guerillakämpfer mit ausgezeichneten Geländekenntnissen. Er greift spanische Garnisonen an und plündert Kirchen. Insbesondere auf die Jesuiten hat er es abgesehen. Der Jesuitenpater Morales, der das kirchliche Begräbnis seines Bruders verweigerte, wie auch der italienische Jesuitenpater Lamberti werden getötet. Mehr du mehr Landesteile gelangen in seinen Einflussbereich, sicher sind sich die Spanier nur noch in einigen befestigten Küstenstädten.
Dagohoys Person wird bald zum Mythos. Das zeigt sich schon an seinem neuen Namen. Der ursprüngliche Nachname war vermutlich Sendrijas – jetzt lautet sein Kampfname Dagohoy. Der eingekürzte Name will zum Ausdruck bringen, dass er sich - auch mit Hilfe bestimmter Talismane und Amulette - wie der Wind bewegen kann. Phantastische Fähigkeiten werden ihm in diesem Zusammenhang zugeschrieben. So soll er soll sich unsichtbar von Hügel zu Hügel und von Flussufer zu Flussufer haben schwingen können.
Dagohoy regiert die von ihm kontrollierten Gebiete wie ein Datu (Häuptling) der vorspanischen Zeit. Er ist in Personalunion oberster Richter, Verwaltungschef und Militärkommandeur und er bewältigt diese Aufgaben jahrzehntelang und offenbar relativ konfliktlos mit großem Geschick. Er konfisziert die großen spanischen Haciendas und verteilt das Land unter die Leute. Jes Tirol ist der Ansicht, dass diese erste „Landreform“ noch heute die Grundverteilung auf Bohol bestimmt (4). Zur Person selbst ist noch anzumerken, dass seine Ehe mit der schönen Berinja Bugsok kinderlos bleibt. Aus diesem Grund akzeptiert Berinja auch, dass er mit anderen Frauen schläft und mit ihnen Kinder zeugt. Es wird ferner berichtet, dass das Hauptquartier des Tierfreunds Dagohoy teilweise an einen zoologischen Garten erinnert hätte.
Verständlich, dass die Erfolge Dagohoys die Machthaber in Manila beunruhigen. 1747 wird die erste größere Strafexpedition gegen die Rebellen in Marsch gesetzt. Sie scheitert wie so viele andere, die von den nachfolgenden Gouverneuren nach Bohol gesandt werden. Die spanischen Machthaber können sich aber in diesen Jahrzehnten nicht voll auf die Niederschlagung der Revolte in Bohol konzentrieren. Sie haben an mehreren Fronten zu kämpfen. 1762 greifen die Briten mit 13 Schiffen und 6.800 Mann Manila an und setzen sich dort bis zum Friedensvertrag von Paris im Jahre 1764 fest. Etwa zur gleichen Zeit revoltiert Diego Silang zunächst sehr erfolgreich im nördlichen Ilocos gegen die Kolonialherren und ruft dort eine eigene Regierung aus (5). Schließlich mehren sich auch die Piratenangriffe der Moros in Visaya und Luzon.
Immer wieder kommt es zu Friedensgesprächen. Man bietet Dagohoy und seinen Gefolgsleuten Amnestie an. Ein Erzbischof erklärt sich bereit, die Ordensgeistlichen durch weltliche, auch einheimische Priester zu ersetzen. Doch Dagohoy hält an seinem Unabhängigkeitskonzept unverändert fest.
Um die Jahrhundertwende stirbt Dagohoy. Kein amtliches Dokument vermerkt jedoch das genaue Todesdatum von Dagohoy. Die Historiker sind sich jedoch einig darüber, dass er vor 1829, dem Ende der Revolte auf Bohol, gestorben ist. Dass Dagohoy von den Spaniern gefangen genommen und getötet wurde, ist Einzelmeinung des philippinischen Historikers Isidro Abeto(6). Meistens wird unterstellt, dass er an Altersschwäche oder Krankheit gestorben sei. Am konkretesten äußerte sich 2008 der Nachfahr Eduardo Dagohoy. Nach ihm hat Dagohoy ein wahrhaft biblisches Alter erreicht.„Francisco Dagohoy lived till he was 101, died of rabies (Tollwut), probably in 1825 (2).
Mit dem Tod Dagohoys endet die Revolte auf Bohol nicht, sie ist jedoch durch den Tod ihres charismatischen Führers geschwächt. Die Brüder Handog und Auag setzen den Kampf fort. Die Fortführung des Kampfes zeigt, dass der Aufstand auf Bohol nicht nur der persönliche Rachefeldzug des Francisco Dagohoy war.
1827 können sich die Kämpfer einer spanischen Strafexpedition mit 2200 Soldaten noch widersetzen. Im April 1828 landet jedoch wieder ein starkes, diesmal mit Artilleriegeschützen bewaffnetes Truppenkontingent auf Bohol. Es kommt zu heftigen Kämpfen, in deren Verlauf mehr als 400 Rebellen getötet wurden. Die Spanier siegen schließlich. Während einige Kämpfer in ihren Höhlen verbleiben und lieber an Hunger und Durst sterben, fliehen Tausende fliehen in andere Provinzen. Etwa 20.000 Rebellen geraten in Gefangenschaft und werden später von dem liberal gesonnenen Gouverneur Ricafort amnestiert.
Die Würdigung Dagohoys als Patriot setzt auf den Philippinen relativ spät ein. 1953 gab Vizepräsident Carlos P. Garcia der Landwirtschaftskolonie Colonia in Angedenken an Dagohoy den Namen „Municipality Dagohoy“. Eine von den Vereinigten Staaten übernommene und mittlerweile außer Dienst gestellte Fregatte bekam seinen Namen. Etwa zwei Autostunden von Tagbiliran City entfernt gibt es nahe der Ortschaft Danao die nicht ganz leicht zu erreichend historische „Francisco Dagohoy Cave“ mit ihren wunderbaren, zum Teil golden schimmernde Stalagmiten und Stalaktiten sowie einem unterirdischem Wasserlauf. Bei der Ortschaft Danao erinnert auch eine etwas versteckte Gedenktafel an den philippinischen Patrioten.
Die Ortschaft Danao galt bis in jüngerer Zeit als „hot spot“ mit stärkerer NPA-Durchdringung. Es ist nicht auszuschließen, dass einige der NPA-Untergrundkämpfer sich - bei gleichwohl veränderter Feindlage - auch in der Nachfolge des Rebellen Francisco Dagohoy sahen und sehen.
© Wolfgang Bethge, 2010
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(1) Philippine revolts against Spain, http://en.wikipedia.org/wiki/Philippine_revolts_against_Spain
(2) Eduardo Dagohoy, The Hero of Bohol, http:// franciscodagohoythehero.blogspot.com
(3) Es gibt auch andere, weniger häufiger anzutreffende Darstellungen des Vorfalls, die jedoch dieselben Folgen haben. Der Historiker Antonio M. Molina unterstellt, dass das Duell tatsächlich stattgefunden hat und Francisco die vom Kirchenrecht gebotene Handlungsweise des Jesuitenpriesters Morales einfach nicht verstand (The Philippines through des Centuries, 1960, S. 171).
Bei Renato Constantino, einem anderen philippinischen Historiker, sind die Rollen vertauscht. Sagarino ist der vom „wahren“ Glauben abgefallene Flüchtige, der im kirchlichen Auftrag von einem Wachmeister verfolgt wird. Im Kampf kommen beide zu Tode (zitiert nach: The Boholano Revolution Against Spain, in: http://www.ualberta.ca/~vmitchel/alan-article.html).
(4) Jes Tirol, Legacy of the Dagohoy Revolution, in: http://www.boholchronicle.com/2007/aug/26/opion2.htm
(5) Auch der in derselben Zeitspanne rebellierende tief religiöse Diego Silang ruft 1762 lediglich die Unabhängigkeit von Ilocos aus. Vgl. hierzu: W. Bethge, Diego und Gabriela Silang – Los Indios Bravos y Fideles, in: http://bethge.freepage.de/silang.htm
(6) Isidro Escare Abeto, Philippine History, reassessed, http://quod.lib.umich.edu/cgi/text/pageviewer=idx?c=philamer;cc=philamer;q1=Dagohoy;rgn=full%20text;idno=akm8935.001.001;didno=AKM8935.001.001;view=image;seq=198;page=root;size=s,frm=frameset;
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