Mittwoch, 9. Februar 2011

Der verblichene Götterhimmel der frühen Filipinos



Vor Ankunft der spanischen Kolonisatoren bestimmte ein buntes und vielgestaltiges Götterpantheon das Leben der Inselbewohner. Höhere Mächte, wohlwollende aber auch bösartige übernatürliche Wesen wirkten nach den Vorstellungen der Eingeborenen auf die elementaren Erlebnisse von Geburt und Tod, Eheglück, Naturkatastrophen sowie gute Ernten und Missernten ein.

Es wird öfters behauptet, dass die in vorkolonialer Zeit verehrten Götter hinduistische oder buddhistische Wurzeln gehabt hätten. Nähere Hinweise auf Querverbindungen sucht man jedoch zumeist vergeblich. Der Animismus – der Glaube an eine beseelte, von Geistern bestimmte Natur – war wohl vorherrschend. Dieser Glaube wurde weitgehend mündlich tradiert. Das wenige überlieferte Schrifttum liefert keine ausgeklügelte Metaphysik oder einen an die griechische Mythologie erinnernden Handlungsreichtum. Breitere Textausführungen finden sich zumeist nur zu den an der Schöpfung des Universums mitwirkenden Hauptgöttern. Von vielen Nebengöttern hingegen kennt man oft nur den Namen und ihre Zuständigkeit.

Die späteren spanischen Konquistadoren und hier insbesondere die ihnen folgenden geistlichen Herren haben die wenigen schriftlich niedergelegten vorkoloniale Glaubenszeugnisse weitgehend vernichtet. Für sie galt es, die Eingeborenen – wenn nötig, auch mit Zwangsumsiedlungen – „unter die Glocken zu bringen“. Die Außendienstvertreter des Pontifex Maximus mussten im Rahmen der ihnen aufgetragenen  Heidenmission vermutlich erst ein Sündenbewusstsein wachrufen und entwickeln, um es dann wieder mit kirchlichen Mitteln zu kurieren. Man könnte ihr Handeln auch unter das Motto stellen:  „Lehre die Sünde, um dann mit ihr zu handeln“.

Die zum Seelenheil geschickten Langröcke propagierten einen relativ abstrakten, sinnenfernen Gott, der nicht wie der Hauptgott der Tagologen – Bathala – und andere Götter auch menschliche Züge trug. Immerhin erleichterte der in weiten Landesteilen anzutreffende Glaube an einen Hauptgott die christliche Missionierung. Man brauchte ihn im Prinzip nur auszutauschen.  Aber die sonst anzutreffende Vielgötterei, „der verschwenderische Aberglaub an Stein, Schroffen, Felsen, Klippen, Landspitzen“ (Collins (1)) war den Missionaren sicherlich ein Ärgernis, das man auszuräumen versuchte. Natürlich bot es sich auch an, die relativ abstrakte Botschaft mit einem opulenten Verkündigungsritus, mit Kruzifixen, Rosenkränzen und Heiligenbildern optisch zu stützen.  

Es sind noch ein paar Anmerkungen zum nachfolgenden Überblick zu machen. Der Artikel spricht zum einen nicht die höheren Schöpfungsgötter (wie Bathala, Maguaya oder die Seegöttin Amin Sinayaan) an, zum anderen klammert er auch die „lower gods“ oder Spukgestalten aus - wie zum Beispiel die Riesenechse Buwaya, den Pferdegott Tikbalnang, den bärtigen Baumbewohner Kapre oder die verführerischen Elfen.  Über letztere Gestalten der philippinischen Mythologie wurde an anderer Stelle berichtet (2) (3).  

Weiterhin könnte der falsche Eindruck entstehen, dass die damaligen Eingeborenen von der Vielzahl höherer und niedriger Götter quasi umzingelt gewesen wären. Dem ist nicht so. Unser Beitrag sammelt nur die Vielzahl erwähnter Götter aus allen Landesteilen, dem Norden des Landes, den Visayas, Mindanaos und Palawans. Nur aufgrund dieser Zusammenstellung ergibt sich der Eindruck der Überfülle.  Der weitgehend ortsgebundene Frühfilipino kannte vermutlich nur wenige Götter.


Fangen wir mit Göttern und Göttinnen an, die mit Naturerscheinungen in Verbindung gebracht werden. Auf Panay verehrte man Alusina, die Göttin der goldenen Morgenröte. Für Wind und Regen kamen je nach Region verschiedene Gottheiten in Betracht. Die Tagalesen sahen die launenhafte Göttin Anitun Tabi als Urheberin von Wind und Regen an. Auf Panay meinte man, der Regen seien die Tränen des trauernden Gottes Tungkung Langit.  Dieser hatte im Zorn seine eifersüchtige Frau aus den himmlischen Gefilden verstoßen - ein Schritt, der ihm in seiner nun einsetzenden Einsamkeit sehr leidtat. Immer wenn er danach an seine Frau dachte, musste er weinen und es regnete auf der Erde.
Bicolaner machten für Donner und Überflutungen den Gott Onos verantwortlich. In der Visayaregion glaubte man an die Vulkangöttin Lalahon. Um sie zu besänftigen, opferte man ihr zunächst Jungfrauen. Später – der himmlischen Jungfrau sei Dank – reichten zu ihrer Besänftigung Opferfeuer aus.  - Im Berg Mount Mayon saß alten Berichten von Bicol zufolge der Gott Gugurang. Er wachte über das Wohlergehen der Bevölkerung. Sah er diese jedoch vom rechten Weg abkommen, wurde er zornig und spie zur Warnung rotglühende Lava und Asche aus. Spezielle Priesterinnen mussten ihn mit Opfergaben beruhigen.  Merken wir eher am Rande noch an, dass man in Visaya auch einen Gott des Regenbogens verehrte. Der Stamm der Bataks auf der Insel Palawan kannte sogar einen Gott der kleinen Steine.

Wenden wir uns Göttern zu, die mit der Familie, dem Haushalt und dem Haus in Beziehung stehen. Das Problem nachlassender männlicher Spannkraft gab es offenbar schon zu Urzeiten. Natürliche Aphrodisiaka waren wohl nicht immer greifbar. Wie gut, dass sich in diesem Fall Frauen des Stammes der Bagobo auf Mindanao an die Göttin Malimbung wenden konnten. Diese Göttin soll über die Gabe verfügt haben, die sexuellen Gelüste der Männer zu steigern. Was aber, wenn der Beischlaf zu keiner Nachkommenschaft führen sollte? Die Ifugao wandten sich in dieser Situation an den Gott Komiwa. Er konnte angeblich das Sperma im Leib der Frau so verrühren, dass es zu keiner Empfängnis kam.

Nicht jede Beziehung ist erwünscht. Die Tagologen konnten dann den Gott Manisalat bemühen. Er verfügte über die Gabe, starke Animositäten unter Paaren zu wecken, so dass es nicht zu sexuellen Kontakten kam. Manisalat gilt auch als Gott der zerbrochenen Familien. Aber es gab auch Hoffnung. Ein Gebet zur Göttin Dian Masalanta (späterer Name: Maria Makiling) konnte wieder alles zum Besseren wenden. Sie, deren Bruder Apolake eigenartigerweise ein Kriegsgott war, wirkte bei den Tagalogen als Göttin der Liebe, Schwangerschaft, Kindsgeburt und des Friedens.  Und wenn sie Segen für das Haus stiftete, war vielleicht auch der Gott der Musik Pasipo nicht fern.

Das Hausvieh wurde von der Göttin Idiyanale geschützt. In der Provinz Bukidnon standen die Wasserbüffel und Pferde unter der Obhut des Gottes Pamahindi. Die Ibaloy im nördlichen Luzon kannten sogar eine Göttin der Schweine. Vermutlich brauchte sich die Göttin Anagolay über Zuspruch nicht beklagen. An sie wandte man sich, wenn Dinge verloren gingen.

Im und mit dem Haus kann mancherlei passieren. Bei dem Stamm der Isneg auf Luzon stand der Gott Darupaypay im Verdacht, den Reis zu verschlingen, noch ehe er in die große Kornkammer gebracht war. Ein Haus kann brennen. Die erste Reaktion wäre natürlich, es schnell zu löschen. Nach einer Sage der Tagolog-Region sollte man dies jedoch möglichst unterlassen. Das Feuer könnte auch der Gott Mankukulam unterm Haus gelegt haben. Die Sage will es nun, dass denjenigen, der das Feuer sofort löscht, der Tod ereilt.

Bauern, Fischer, Jäger und Krieger hatten jeweils ihre eigenen Schutzgötter. Erwähnt sei hier nur die hermaphroditische Fruchtbarkeitsgöttin der Tagalogen Lakampati. Man rief sie - die Göttin der kultivierten Felder - insbesondere bei Hungersnöten an.  In der spanischen Zeit nimmt sie jedoch dämonische Züge an. Von den Tagologen wurde auch die Erntegöttin Idinale bemüht. Man brachte ihr eine Schüssel Reis an Vollmondnächten dar. In Visayas musste man die Göttin Lalahon mit Opfergaben besänftigen, damit nicht ihre Heuschreckenschwärme die Ernte vernichteten. - Mangaragan war der Gott des Krieges und Ginton war bei dem Stamm der T´boli  der für die Metallverarbeitung zuständige Gott.

Wir kommen auf den Themenkreis Krankheit und Tod zu sprechen. Der Stamm, der T´boli kannte allein vier Götter, an die man sich wenden konnte, wenn einen das Fieber, Erkältungen, Kopfschmerzen oder Hauterkrankungen plagten. In Visayas waren es der Vogelgott Bulalakaw oder auch kapriziöse Gott Makaptan, der Krankheiten nur aus dem Grund brachte, weil er in seiner Himmelshöhe nie ein Gericht oder Getränk von Menschen bekommen hatte. Die Göttin Linga war bei den Tagalogen eine echte Heilgöttin. Diese durfte aber keinesfalls verwechselt werden mit der freundlich auftretenden aber hinterhältigen Göttin Manggagaway. Sie gab sich landauf landab als Heilerin aus. Doch statt Krankheiten zu kurieren, übertrug sie diese.

Bei Todesfällen haben natürlich auch die Götter ihre Hand im Spiel. Nach einer Legende der Bagobo bestimmt die Unterweltgöttin Mebuyan den Tod. Immer wenn sie einen Zitronenbaum in ihrem Reich schüttelt, stirbt ein Mensch. Ist die heruntergefallene Frucht noch grün, stirbt ein junger Mensch. Ist sie schon reif, wird ein älterer Mensch ins Reich der Toten gerufen. – In Visaya ist es der Gott Magyan der die Seelen der Toten in seinem Boot Balanday ins Höllenreich fährt. Nach den Glaubensvorstellungen der Bataks gehen die Seelen der Toten zunächst in den jenseitigen Ort Basad ein. Hier erfahren sie vom Totengott Angoro, ob sie in den Himmel Lampanag oder ob sie in Basad verbleiben. Hier erwartete sie aber später nur Feuer und siedend heißes Wasser.

Blenden wir noch kurz Gottheiten ein, die durch ihre äußere Erscheinungsweise auffielen. Man kann zum Beispiel auch durch Schönheit auffallen. In Visaya rief man die Göttin Dal´Iang an, wenn sich bei einer Person Schönheit nicht zeigen wollte. In dieser Region kannte man auch die vieläugige Göttin Dalikamata. Sie konnte Augenkrankheiten heilen. Über nur ein Auge verfügte die Mondgöttin Mayari. Der Windgott Paros und die Seegöttin Dagat der Bicolaner hatten zwei Söhne, deren Körper ganz aus Gold beziehungsweise Kupfer war. Die Tochter Bitoon hatte einen silbernen Körper. Der Körper der Unterweltgöttin Mebuyan war nach der Legende der Bagobo nicht nur hässlich, er war auch ganz mit Warzen bedeckt. Mit den Warzen pflegte sie – wie auch immer - die in ihrer Unterwelt befindlichen toten Babys.

Heute sind die hier vorgestellten Götter weniger bekannt. Eine Ausnahme dürfte der Schöpfergott Bathala bilden, dem die Kinder oft noch in ihren Schulbüchern begegnen. Untergründig ist der Animismus aber weiterhin präsent. Das belegt der vielfach noch anzutreffende, weitgehend irrationale Geisterglaube im Land. Wer zum Beispiel hat nicht schon von Brunnengeistern gehört?

© Wolfgang Bethge, 2011
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(1) Allerhand so Lehr- als Geist-reiche Brieff, Schrifften und Reise-Beschreibungen, welche von denen Missionariis der Gesellschaft Jesu aus beyden Indien, und anderen über Meer gelegenen Ländern, Meistentheils von 1730 bis 1740 in Europa angelanget seynd. Aus hand-schriftlichen Urkunden und anderen bewehrten Nachrichten zusammengetragen von Pedro Probst, einem Priester derselbigen Gesellschaft“ , S. 55 – Vgl.: "Das Brot deren Indianer ist von Reiß" - Beschreibung der Philippinen von 1663, in: http://bethge.freepage.de/ kropff.htm
(2) Sonne, Mond und Sterne – Eine Exkursion in die philippinische Mythologie, in: http://bethge.freepage.de/sonnemond.htm
(3) Wolfgang Bethge, Creatures of Midnight – Philippinische Spuk- und Schreckensgestalten, in: http://bethge.freepage.de/creatures3.htm 

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