Dienstag, 15. Juni 2010
Der wunderliche Fisch Baka-bakahan
1996 war auf einer philippinischen Briefmarke ein etwas bizarr gestalteter Fisch abgebildet, der im Deutschen mit der etwas schamvollen Bezeichnung „Gehörnter Kuhkofferfisch“ belegt ist und der – wenn es nach ihm ginge - wohl eher auf seinen ziervolleren lateinischen Namen „Lactaria cornuta“ verweisen würde. Im Tagolog heißt er „Baka-bakahan“ und die für das Tagalog oft typische Silbenverdopplung bei Namen zeigt schon, dass er auch auf den Philippinen zu Hause ist.
Was hat es nun mit dem knochig wirkenden Fisch und den so deutlich ausgeprägten Hörnern auf sich? Der Gehörnte Kuhkofferfisch gehört mit über 25 Arten zur Familie der Kofferfische (box fishes) und ist in den Küstengewässern des indopazifischen Raums in Tiefen bis zu 100 Metern anzutreffen. Er kann eine maximale Länge von bis zu fünfzig Zentimetern erreichen. Normalerweise trifft man jedoch nur kleinere erwachsene Exemplare zwischen zehn und zwanzig Zentimetern an. Die Grundfärbung der Haut ist zumeist blassgelb und weist verstreute weiß-blaue Tupfer auf. Es gibt aber auch grüne und orangenfarbige Farbvarianten. Der kastenförmige Körper ist mit knochenartigen Platten bedeckt. Aufgrund der harten, wabenartigen Armierung hat man den Kuhkofferfisch auch schon als „schwimmenden Panzer“ bezeichnet. Die bei Fischen sonst üblichen Kiemen sind durch ein kleines Loch oder Spalt ersetzt.
Die Flossen sind, auch um Fressfeinde abzuwehren, scharf und spitz. Besonders lang ist die Schwanzflosse, die vor allem bei Fluchtreaktionen eingesetzt wird. Die Brustflossen können sich probellerartig bewegen. Dies gestattet ein angelartiges Auf- und Abschwimmen ohne Vor- oder Rückwärtsbewegung. Mit dem nach unten gesenktem, röhrenförmige Maul und den großen Lippen sucht der Baka-bakahan unablässig nach Nahrung und wirbelt dabei oft durch das Blasen eines Wasserstrahls den Sand auf. Beutetiere für die Allesfresser sind u.a. Algen, kleine Weichtiere, Krebschen und kleine Fischchen.
Das eigentlich Charakteristische des Fisches sind jedoch die beiden weißlichen, hornartigen Auswüchse am oberen Kopfende. Sie erinnern etwas an Kuhhörner und gaben dem Fisch seinen Namen. Auch unter dem Schwanz finden sich hornartige Auswüchse, die mit dem Alter wachsen. Die Hörner können sich regenerieren und sollen durch ihre (angedeutete) Sperrigkeit wohl das Gefressenwerden erschweren. Zu den wenigen Fressfeinden gehört u.a. der Thunfisch.
Neben den spitzen Flossen und den hornigen Auswüchsen schützt sich der Fisch auch durch Giftabsonderungen. In Stresssituationen – das zeigen insbesondere Aquarienbeobachtungen – penetriert er aus seiner Haut das Gift Ostracitoxin (Pahutoxin), ein Nervengift. Es kann andere Fische töten.
Ob und inwieweit der Fisch selbst giftig ist, ist leicht umstritten. Es gibt sehr vereinzelte Stimmen, die dies behaupten. Wir fanden im Internet auch eine Stelle, die - ohne nähere Erläuterungen - davon ausgeht, dass ein Japaner sich mit einem „Cowfish“ tödlich vergiftet hätte (1). Andererseits finden sich im Internet mehrere Texthinweise, dass das Fleisch nicht giftig sei, Gift würde nur in Stresssituationen Gift produziert werden (2). Ein Verfasser bemerkt, dass es sich bei dem Kuhfisch um einen „extremely tasty fish" handele, an dem jedoch – aufgrund seiner Knöchrigkeit – nicht viel dran sei (3). Auch Bekannte des Verfassers behaupten, der Fisch sei nicht giftig. Ein Handels- oder Konsumfisch ist der Baka-bakahan jedenfalls nicht. Sollten dennoch Gelüste nach diesem hageren Fisch bestehen, sind vorhergehende Erkundigungen In Bezug auf die Giftigkeit des Fleisches bei Fischern in jedem Falle ratsam.
Dem Fisch wird nur sehr eingeschränkt ein wirtschaftlicher Wert zugesprochen. Hin und wieder werden die Fische getrocknet und als Ornamentschmuck verkauft. Mehr und mehr beginnen sich jedoch die Aquarienfreunde für den Baka-bakahan Fisch zu interessieren. Man schätzt seine besondere Körperform, seine Neugierde und relative Zahmheit. Angeblich lernt er auch, aus der Hand zu fressen. Manche finden die halbkreisförmigen Augenlinsen attraktiv. Diesen Vorzügen stehen jedoch auch Nachteile gegenüber. Der gehörnte Kuhfisch ist parasitenanfällig und verträgt sich wenig mit anderen Fischen, die er auch töten kann. Die Haltung wird deshalb nur sehr erfahrenen Aquarianern empfohlen.
Welche Gründe könnten evolutionsgeschichtlich zu solch einem wunderlichen Gestaltwandel geführt haben? Der Kuhkofferfisch hat zu dieser Frage bislang hartnäckig geschwiegen. Wie gut, das uns ein philippinisches Märchen einen Erklärungsansatz bietet. Nachfolgend eine Kurzform des Märchens „Warum der Fisch Baka-bakahan Schuppen und Hörner hat“ (1):
Zu der Zeit, als Himmel, Wasser und Erde noch ungeteilt waren und veritable Götter das Sagen hatten, da tummelte sich auch schon der kleinere Fisch Baka-bakahan in der See. Noch hatte er eine feine, dünne Haut. Ihm stellten ja keine Fressfeinde nach. Plötzlich aber stellte sich eine Naturkatastrophe ein. Die Wasserpflanzen starben ab, Hungersnöte kamen auf und der Jagddruck der größeren auf die kleineren Fische intensivierte sich. Die Zahl der Baka-bakahan dezimierte sich rapid.
In ihrer Not wandten sich die Baka-bakahans an den Seegott Amanikable und baten um seinen Schutz. Der Seegott hatte ein Einsehen und schenkte den jammernden Fischen eine dickere Haut. Diese half jedoch nicht viel. Wieder wurden die Baka-bakahans bei Amanikable vorstellig. „Wir werden alle zugrunde gehen, wenn du uns nicht bewaffnest. Könnten wir nicht auch einen Dreizack haben?" Amanikable lehnte diesen Wunsch jedoch ab. Er wollte nicht das Zeichen seiner Macht abgeben.
Das fortgesetzte Weinen der Fische rührte ihn jedoch. Er verlieh ihnen deshalb wesentlich dickere Schuppen und zusätzliche Hörner zu ihrem Schutz. Und diese göttliche Intervention kennzeichnet den Fisch auch noch heute.
Vermutlich würden auch Evolutionstheoretiker das etwas sonderbare Aussehen des Kuhkofferfisches als spezielle Entwicklung eines Schutzmechanismus interpretieren. Unser Märchen nimmt insoweit einen wissenschaftlichen Erklärungsansatz vorweg.
© Wolfgang Bethge, in 2010
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(1) Cowfish (Umisuzume, Lactoria diaphana) Poisoning with Rhabdomyolysis, in: http://www.jstage.jst.go.jp/article/internalmedicine/47/9/47_853/_article
(2) http://www.reefcentral.com/forums/showthread.php?s=&postid=8468416
(3)http://www.tripadvisor.in/ShowTopic-g147319-i71-k704851-Pastelillo_de_Chapin-Puerto_Rico.html
(4) Längere Märchenfassung in: Josef Genzor, Philippinische Märchen, Hanau/Main, 1987 (vergriffen)
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